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„Brauen ist Handwerk, Wissenschaft und Kunst“: Interview zum Zertifikatsprogramm „Brauer Cursus Weihenstephan“

Dr.-Ing. Martina Gastl im Interview zum Thema Brauen und Braukunst zwischen Tradition und Moderne. Erfahren Sie mehr übers Bierbrauen sowie unseren „Brauer Cursus!

Auf eine mehr als 150 Jahre lange Tradition blickt die Technische Universität München (TUM) mit ihrem Campus in Weihenstephan zurück: Der Standort gilt als „Wiege der Braukunst“ – und weltweit als eine der ersten Ausbildungsstätten für Brauer*innen. Dr.-Ing. Martina Gastl leitet das Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität an der TUM. Sie hat den „Brauer Cursus Weihenstephan“ mitentwickelt, der im Rahmen der lebenslangen Bildungsangebote am TUM Institute for LifeLong Learning angeboten wird. Er verbindet die deutsche Tradition des Brauens praxisorientiert mit modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Frau Gastl, Sie arbeiten seit fast 20 Jahren an der TUM und beschäftigen sich mit der Forschung im Bereich Brau- und Getränketechnologie. Ist Brauen nun eine Kunst, ein Handwerk – oder eine Wissenschaft für sich?

Dr.-Ing. Martina Gastl, Leitung Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität, TUM

Dr.-Ing. Martina Gastl: Bier ist mit einer über 6000 Jahre alten Geschichte eines der ältesten biotechnologisch hergestellten Produkte der Menschheit. Somit ist das Brauen sowohl Handwerk, als auch wissenschaftliches Fachgebiet.

Das handwerkliche Brauen ist aber sicher auch eine Kunst. Wir arbeiten mit Naturprodukten: Es erfordert viel Know-how, um jahrgangsbedingte Unterschiede von Malz und Hopfen auszugleichen und dem Konsumenten ein stets gleich schmeckendes und qualitativ hochwertiges Bier kredenzen zu können. Bierbrauen ist auch sehr kreativ, was sich in der anhaltenden Craft-Bier-Bewegung widerspiegelt. Letztendlich sind Brauer*innen auch wie Komponist*innen, die auf der Klaviatur der Rohstoffe spielen und somit eine unendliche Produktvielfalt entstehen lassen.

Man könnte also sagen: Der Bereich Brau- und Getränketechnologie ist für mich in erster Linie eine gelungene Symbiose aus Wissenschaft und Praxis. Dies wollen wir auch in unseren Weiterbildungskursen deutlich machen.

Weihenstephan ist ein Ort mit großer Tradition, wenn es um Brauwesen und Getränketechnologie geht. Können Sie uns erklären, wie es dazu kam und wie die TUM mit dem Standort verbunden ist?

Dr.-Ing. Martina Gastl: Wir blicken auf eine über 150jährige Tradition zurück: Im Jahr 1803 befahl Kurfürst Max IV Josef, im Benediktinerkloster Weihenstephan eine Landwirtschaftsschule einzurichten. Da eine Brauerei und eine Brennerei dem Kloster zugehörten, wurde an der Schule auch „Landwirtschaftliche Technologie“ gelehrt. 1865 gründete Dr. Carl Lintner den ersten internationalen Lehrgang, 1895 wurde Weihenstephan zur „Akademie für Landwirtschaft und Brauerei“ ernannt. Von Beginn an war die strukturierte Weitergabe von Wissen im Bereich Brauen und Mälzen also eng mit Weihenstephan verbunden – als einer der ersten Standorte weltweit. Darauf sind wir sehr stolz. 1930 erfolgte die Eingliederung in die Technische Hochschule München, und in den folgenden 50 Jahren wurde Weihenstephan erst als „Grünes Zentrum“ erweitert, später kam das „Wissenschaftszentrum für Ernährung, Landnutzung und Umwelt“ (WZW) hinzu.

Aber auch die Verbindung mit der Praxis war stets wichtig: Nachdem die aus dem Jahr 1906 stammende Lehr-und Versuchsbrauerei nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden konnte, wurde bis 2006 in den vorhandenen Räumlichkeiten eine Lehr- und Forschungsbrauerei geschaffen. Hier ist es möglich, sowohl Grundlagen zu erforschen als auch „neue Biere“ zu konzipieren. Dies ist die heutige Forschungsbrauerei Weihenstephan.

Historisches Bild der ehemaligen Forschungsbrauerei in Weihenstephan

Ein neues Zertifikatsprogramm an der TUM, das Sie federführend entwickelt haben, heißt „Brauer Cursus Weihenstephan“. Was hat es damit – und mit dem Namen – auf sich?

Dr.-Ing. Martina Gastl: Neben der „ältesten Brauerei der Welt“ hat Weihenstephan auch ein traditionsreiches akademisches Ausbildungsprogramm im Brauwesen aufzuweisen, daher wird Weihenstephan auch oft die „Wiege der Braukunst“ genannt. Der oben erwähnte Dr. Carl Lintner gründete 1865 einen eigenen „Brauer-Cursus“ mit Studenten aus dem In- und Ausland. Somit birgt der Name „Brauer Cursus Weihenstephan“ sozusagen den Ursprung der handwerklich sowie akademischen Ausbildung des Standortes. Mit ihm knüpfen wir an die Tradition von Dr. Lintner an und haben den ersten umfassenden Einführungskurs in die Wissenschaft und Technologie des Brauens geschaffen.

Die Kursinhalte umfassen beginnend bei den Rohstoffen alle technologischen Prozessschritte der Malz- und Bierproduktion. Behandelt werden neben einem tiefen Verständnis der klassischen Brautechnologie auch die wichtigen Bereiche der Biersensorik und der Getränkeschankanlagen. Der intensive Praxisteil, der das Wissen anwendet und vertieft, deckt von der Herstellung eigener Biere bis zur analytischen Begleitung alle erforderlichen Aspekte ab.

In den Lehrinhalten möchten Sie besonders die Verbindung von Tradition mit modernem Brauereiwesen vermitteln. Was können wir uns darunter vorstellen?

Dr.-Ing. Martina Gastl: Was 1865 als Brauerschule begann, hat sich mittlerweile zu einem ingenieurwissenschaftlichen und modernen universitären Fachbereich mit Forschung und Lehre weiterentwickelt. Heute werden an der Technischen Universität München zukunftsweisende Technologien sowie Methoden für die Brauwirtschaft entwickelt, um der Branche das geeignete Rüstzeug für die Zukunft an die Hand zu geben. Die seit Jahren erfolgreichen Studiengänge bedienen alle Führungs- und Gestaltungsebenen von Brauereien, getränkeproduzierenden Betrieben, Zulieferern oder Maschinenbauunternehmen.

Dies verdeutlicht auch die Breite des Fachbereichs Brauwesen und Getränketechnologie. Im Zertifikatskurs „Brauer Cursus Weihenstephan“ vermitteln unsere erfahrenen Expert*innen grundlegendes Wissen gepaart mit den praktischen Anforderungen an eine moderne Brautechnologie.

Und zuletzt: Was ist aus Ihrer Sicht das größte Mythos, wenn es um das Thema Mälzungs- und Brauprozess geht?

Dr.-Ing. Martina Gastl: Ich denke eine der größten – ich nenne es lieber Herausforderungen – ist, dass viele Verbraucher Bier oft mit einem standardmäßigen, industriell produzierten „Lager“ oder „Hellen“ verbinden – einheitliche, ausdruckslose Biere, die sich eigentlich nur durch das Etikett unterschieden. Das Potential des Produktes und seiner sensorischen Vielfalt ist dadurch bei weitem nicht ausgeschöpft.

Viele Brauer*innen sind großartige Meister*innen ihres Fachs und lassen aus nur vier natürlichen Rohstoffen eine Vielfalt unterschiedlichster Biere entstehen. Weltweit existieren etwa 200 verschiedene Hopfensorten und weit über 50 kommerziell erhältliche Malztypen. Nicht zuletzt eröffnet der verwendete Hefestamm ein gewaltiges Spektrum an Aromen. Allein in Deutschland werden mehr als 5.500 verschiedene Biere aus über 1.350 deutschen Braustätten produziert. So könnte man über 15 Jahre lang jeden Tag ein anderes Bier genießen, ohne eines davon doppelt zu trinken.

Diese Handwerkskunst – aus wenigen Rohstoffen eine Vielfalt qualitativ hochwertiger Biere zu brauen, basierend auf dem wissenschaftlichen und technologischen Fachwissen – wollen wir im Rahmen unseres „Brauer Cursus Weihenstephan“ weitergeben.

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